Was wir aus dem Still-Face-Experiment für DIRFloortime lernen können

Wenn wir mit Kindern arbeiten – sei es als Eltern, Therapeut:innen oder Pädagog:innen – streben wir oft nach Harmonie, Feinfühligkeit und reibungsloser Interaktion. Aber wie uns die Entwicklungsforschung zeigt : Es sind gerade die kleinen Störungen und vor allem die gelungene Wiederverbindung, die besonders viel Entwicklungspotenzial in sich tragen.

👶Das „Still Face Paradigm“: Mismatch & Repair – was kleine Störungen uns lehren

Der Entwicklungspsychologe Ed Tronick wurde international bekannt durch sein „Still Face Paradigm“. In diesem Experiment interagiert eine Mutter zunächst feinfühlig mit ihrem Baby – lächelt, spiegelt, reagiert. Dann aber wird sie plötzlich ausdruckslos („still face“) und bleibt regungslos, obwohl das Baby weiterhin kommuniziert und Kontakt aufnimmt. Aber innerhalb von Sekunden reagiert das Kind irritiert und zunehmend gestresst, – was eindeutig zeigt, wie wichtig lebendiger emotionaler Austausch für die frühkindliche Entwicklung ist.

Doch das Entscheidende ist nicht die Störung, sondern was danach geschieht: Wenn die Mutter wieder „zurückkommt“, reagieren die meisten Babys mit Erleichterung und suchen erneut die Verbindung. Diese Mikro-Momente der Irritation und Wiederannäherung nennt Tronick „Mismatch and Repair“: sie kommen im Alltag dauernd vor und sind nicht etwa problematisch, sondern essentiell für Entwicklung.

In seinem Buch The Power of Discord (2023) beschreibt er, dass es nicht die perfekte Harmonie (oder Mutter) oder die fehlerfreie Interaktion ist, die Entwicklung stärkt, – sondern das immer wiederkehrende Spiel aus kleiner Störung („Mismatch“) und gelungener Wiederannäherung („Repair“). Diese Mikroerfahrungen helfen dem Kind, emotionale Flexibilität, Beziehungsfähigkeit und Selbstregulation zu entwickeln.

🎭 Mismatch als Lernchance: spielerisch herausfordernd sein in DIRFloortime

Auch die entwicklungsfördernde Arbeit mit Kindern in der DIRFloortime-Methode knüpft an diese Erkenntnis an, wenn wir den gewohnten oder erwarteten Interaktionsfluss immer wieder nicht einfach bestätigen, sondern immer wieder auf einfühlsame Weise gezielt und spielerisch unterbrechen, d.h. spielerisch herausfordernd‘ sein (Playful Obstruction). Hierbei blockiert die Bezugsperson zum Beispiel leicht einen gewohnten oder erwarteten Handlungsablauf, stellt sich „dumm“ oder wartet bewusst eine Weile ab, um das Kind zu motivieren, selber aktiv zu werden und die Initiative zu ergreifen, und auf diese Weise sozial zu reagieren und in Interaktion zu treten.

Diese Form der kreativen Irritation ähnelt dem Prinzip von „Mismatch and Repair“: Es geht nicht um Kontrolle oder Frustration, oder darum etwas beizubringen, sondern darum, gezielt kleine Impulse zu setzen, die die Entwicklung anregen – und dem Kind gleichzeitig helfen, mit kleinen Unstimmigkeiten umzugehen.

Sowohl Tronick als auch DIR betonen: Entwicklung geschieht nicht in Perfektion, sondern im lebendigen Tanz aus emotionaler Resonanz und Verbindung, die durch das Wechselspiel von Unterbrechung und Wiederverbindung nur noch verstärkt wird.

🧩 Was heißt das in der Praxis?

Praxisbeispiel 1: In der Therapie

Ein Kind stapelt Bauklötze immer nach dem gleichen Muster. Die Therapeutin legt „versehentlich“ einen Klotz an die falsche Stelle – und wartet. Das Kind blickt sie kurz verwundert an, – und nimmt dann den falschen Klotz und legt ihn richtig. Ein Moment der Irritation – aber auch ein Moment, in dem das Kind aktiv wird, in Beziehung geht und mitdenkt. Genau solche Erfahrungen fördern Selbstwirksamkeit und Flexibilität.

Praxisbeispiel 2: Im Familienalltag

Ein Vater hält seinem Kind den Reißverschluss der Jacke hin, wie jeden Morgen. Heute aber bleibt er stehen, lächelt, und sagt: „Oh, ich weiß gar nicht, wie das geht…?“ Das Kind zögert, schaut – und versucht selbst den Zipper zu greifen. Vielleicht klappt es noch nicht – aber der Moment des Abwartens gibt dem Kind Raum zum Ausprobieren, zum eigenständigen Handeln – eingebettet in eine sichere, spielerische Beziehung.

🎭 Verbindung zu DIRFloortime: Spiel mit dem Unterbruch

Auch die DIRFloortime-Methode nutzt gezielt solche Momente der „spielerischen Irritation“ – etwa durch spielerisch herausfordernd sein. Das bedeutet, einen geplanten, wohlwollenden „Stolperstein“ einbauen, um das Kind zu unterstützen, sozial-emotional in Interaktion zu treten. Das Ziel ist nicht Frustration, sondern: Initiative, Interaktion, Problemlöseverhalten und Kommunikationskreise.

Praxisbeispiel 3: Im Spiel

Ein Kind läßt gerne eine kleine Kugel die Rutsche hinunterrollen. Der Therapeut hält die Kugel einmal zurück und sagt überrascht: „Oh – ist das deine?“ Das Kind hält inne, schaut und reagiert, vielleicht mit Gestik oder Sprache, – um den Ablauf wiederherzustellen. Eine einfache, aber sehr wirksame Interaktionschance.

🤲 Fazit: Beziehung heißt nicht Perfektion

Gerade in der Arbeit mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen kann dieser Gedanke entlasten: Es ist nicht schlimm, wenn es nicht „glatt läuft“. Im Gegenteil – Entwicklung passiert in der Reibung, in der kleinen Irritation, im wieder gefundenen stimmigen Austausch.

Denn wenn das Kind erlebt: „Etwas passt gerade nicht – aber ich kann damit umgehen. Und mein Gegenüber bleibt da.“, dann entsteht echte Resilienz. Und aus scheinbar kleinen Momenten werden große Schritte.

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