Türme aus Bauklötzen zu bauen ist eine Beschäftigung, die von den Erwachsenen oft begrüßt und als fortgeschritten angesehen wird. Aber leider ist es häufig eine Entwicklungssackgasse, vor allem für Kinder mit autistisch-ähnlichen Verhaltensweisen. Denn Kinder (und Erwachsene), die sich für das Bauen von Türmen begeistern, neigen dazu, bei dieser Idee stecken zu bleiben und tun sich häufig schwer damit, ihre Vorstellungskraft auf die vielen anderen kreativen Möglichkeiten auszudehnen, mit denen Klötze oder andere Materialien verwendet und in Mustern und endlosen Variationen kombiniert werden können.
‚Als Franklin mit 4 Jahren zu uns in den Kindergarten kam, war es für ihn und uns alle sehr schwierig. Wir konnten ihn überhaupt nicht erreichen. Er rannte die ganze Zeit hektisch hin und her und spuckte dabei in die Luft. Mit Gegenständen hatte er nur eine einzige Idee: sie zu Türmen zu stapeln und dann in die Hände zu klatschen. Wenn ihm irgendjemand dabei in den Weg kam, reagierte er mit Kratzen und Beißen und spuckte dem Störenfried direkt ins Gesicht. Wir haben wirklich alles Mögliche versucht. Aber letztendlich mussten wir alle Spielsachen wegpacken, um diese Situationen zu vermeiden, d.h. jetzt gibt es nichts mehr, womit er spielen und neue Erfahrungen sammeln könnte.‘ (Becky, Kindergärtnerin)
An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass das Bauen eines Turms aus Bauklötzen in Wirklichkeit eine sehr begrenzte Form des Lernens darstellt, vor allem für Kinder mit Entwicklungsverzögerungen, Autismus oder autistisch-ähnlichen Verhaltensweisen. Denn Dinge ordentlich aufeinander zu stapeln erfordert relativ wenige und sehr präzise Bewegungen und feinmotorische Geschicklichkeit. Aber dabei lernt das Kind nur wenig über die verschiedenen Beschaffenheiten von Gegenständen oder die vielen Bewegungsmöglichkeiten seiner Arme oder Greifweisen seiner Hände.
Statt sich zu überlegen ‚Was könnte ich sonst noch mit diesen Materialien machen?‘ steht eine ganz bestimmte Vorstellung und Erwartung im Vordergrund, d.h. das Fertigstellen des Turms und die Aufregung, ihn umzuwerfen oder zusammenstürzen zu sehen, um dann die gleiche Erfahrung und Aufregung mit möglichst wenigen Variationen zu wiederholen. Aber dies beeinträchtigt die Erfahrungsmöglichkeiten des Kindes, denn der Schwerpunkt liegt auf der minimalen Bewegungserfahrung des präzisen Stapelns und der anschließenden senso-emotionalen Aufregung, und darauf, die Erfahrung so vorhersehbar und gleich wie möglich zu halten, anstatt neue Erfahrungen über die verschiedenen Eigenschaften verschiedener Gegenstände durch das eigene explorative Tun zu suchen.
Beispiele für 2 entwicklungsfördernde Spielmöglichkeiten zum Bauen
1. Dinge aufeinanderhäufen
Die vielfältigen Erfahrungen, die mit damit einhergehen, wenn man Dinge aufeinanderhäuft, sind genau das Gegenteil des präzisen Turmbauens, da sie das grundlegende allgemeine Verstehen des Kindes von der Welt, und wie Dinge sich verhalten, mit endlosen Variationen erweitern. Jeder Haufen wird anders aussehen und sich verhalten, es können immer wieder andere Dinge ins Spiel kommen und auch die Basis des Haufens (Schüssel, Tablett, Schale) führt zu unterschiedlichen Erfahrungen. Mit diesem Verständnis im Hinterkopf ist es ratsam, sich mit Kindern mit Entwicklungsverzögerungen nicht darauf zu konzentrieren, Türme zu bauen, oder ihnen dies beizubringen, sondern sich von der Frage leiten zu lassen: ‚Was lässt sich sonst noch alles mit diesen Materialien machen? Und wie variationsreich lassen sie sich mit anderen Dingen variieren?‘
2. Reihen bilden: horizontale ‚Türme bauen‘
Wenn man aber Klötze oder andere Materialien in einer Art aneinanderreiht, wie eine Art horizontalem Turmbau, ergeben sich unendliche Variationsmöglichkeiten, bei denen das Kind viele neue Erfahrungen sammeln und umsetzen kann. Die Voraussetzungen hierfür sind:
- genug ‚Zeugs‘, d.h. mehrere Sammlungen von mindestens 8-10 identischen Teilen, die (zumindest anfangs) stabil stehen und nicht wackeln oder leicht umfallen oder wegrollen, z.B. große und kleine Klötze, Ringe, Korken, Muggelsteine
- dass der Lernbegleiter sich bewusst ist, dass die gesamte Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes auf seinen senso-motorische Erfahrungen durch das eigene Tun und Hantieren mit den eigenen Händen basiert, was in zunehmender Mustererkennung und Vorstellungsfähigkeit resultiert
- Kinder, die Schwierigkeiten haben, zu lernen und selber diese fundamentalen senso-motorischen Erfahrungen mit ihren eigenen Händen zu sammeln, brauchen hier unsere einfühlsame Führung und Unterstützung
Hier ein Beispiel einer fortgeschritteneren Aktivität, die zeigt, wie mehrere Sammlungen sich auf verschiedene Weise miteinander kombinieren lassen, um vorhersagbare Muster zu bilden, – eventuell auch unter Benutzung eines handgehaltenen Werkzeugs wie einer Spaghettizange, um andere Griffarten zu üben und weitere Variationen hinzuzufügen.